Kolik beim Distanzpferd

Nur wenige Dinge versetzen einen Pferdebesitzer so sehr in Aufregung wie eine Kolik.
Allerdings ist – zumal, wenn man lange genug Pferde hat – es meist nicht die Frage, ob es passiert, sondern wann und wie schwerwiegend es einen trifft.

Glücklicherweise sind Koliken – verstanden als Bauch- oder Magen-Darm-Schmerzen – in der normalen Pferdepopulation in den meisten Fällen auf simple Dinge wie eine Gasansammlung, Krämpfe oder andere, nicht lebensbedrohliche Störungen zurückzuführen. Eine Kolik kann sich von leichten Krämpfen, über Scharren und Futterverweigerung bis hin zu starken abdominalen Schmerzen mit Festliegen und heftigem Wälzen darstellen. Diverse Studien haben verschiedene Gründe aufgezeigt, die direkt oder indirekt mit der Ursache einer Kolik verbunden sind, die häufigste ist hierbei ein abrupter Wechsel des Heus. Weitere bekannte Gründe, welche eine Kolik verursachen
oder dazu beitragen können, sind:

  • Fütterung oder Aufnahme von zu viel Kraftfutter
  • Eine zu geringe Wasseraufnahme bei extremen Temperaturen
  • Aufnahme von Sand oder anderem Bodenabfall bei der Bodenfütterung
  • Tumore bei älteren Tieren
  • Magen-Darm-Steine bei einer stark alfalfahaltigen Fütterung (Anmerkung d. Übs.: in Deutschland kaum relevant, in den USA wird jedoch in Teilen des Landes Alfalfa-Heu gefüttert)
  • Jegliche Veränderung im täglichen Ablauf oder gewohnten Umfeld wie z.B ein Stallwechsel, Transport, hartes Training oder Fütterungsumstellungen, vor allem bei sehr sensiblen Tieren.

Im Distanzreitsport haben Tierärzte und Wissenschaftler in den letzten 50 Jahren ein größeres Wissen und tieferes Verständnis für das metabolisch kranke Distanzpferd entwickelt. Obwohl es noch mehr metabolische Erkrankugen gibt, die im Zusammenhang mit Distanzritten auftreten können, wie beispielsweise der belastungsinduzierte Kreuzverschlag und seine mildere Form, das sogenannte „Tying up“, oder Überhitzung, ist die Kolik immer noch die Hauptursache für ca. 80 % der schweren Erkrankungen bei AERC-Distanzveranstaltungen.

Sehr subtile Anzeichen

Viele erfahrene Distanztierärzte sehen die Behandlung des kolikkranken Distanzpferdes mittlerweile als eine Art Spezialfall an. Im Vergleich zur täglichen Praxis ist der Durchschnittskoliker auf Distanzritten tatsächlich oft kaum erkennbar. Daher ist es unerlässlich, dass Tierärzte auf den Ritten mit den Unterschieden und den häufig kaum sichtbaren Symptomen bei Distanzpferdkoliken vertraut sind. Mittlerweile ist ebenfalls bekannt, dass die Erkrankung nicht nur nach, sondern auch vor oder auch während eines Rittes auftreten kann.
ES KANN JEDEN TREFFEN, AUCH WENN GESCHWINDIGKEIT UND STRECKENLÄNGE DIE WAHRSCHEINLICHKEIT ERHÖHEN
Eine Kolik ist kein Vorfall, welcher das schnellste Pferd des Rittes oder nur das Hundertmeilerpferd ereilt. Obwohl die Geschwindigkeit und die Rittlänge die Wahrscheinlichkeit einer Kolik erhöhen, tritt sie ebenfalls auf Kurz- und Mittelstrecken, bei Mittelfeldreitern oder sogar bei den Schlusslichtern eines Rittes auf. Eine Kolik kann ein Pferd auch Minuten bis Stunden nach einem Ritt treffen, bei dem alles in Ordnung schien und die Checkkarte nur „As“ vorzuweisen hatte.

Die Gründe, die am häufigsten eine Kolik beim Distanzpferd auslösen, sind Dehydratation, schlechter gastrointestinaler Blutfluss und Elektrolytimbalancen. Dennoch kann jede Abweichung im täglichen Ablauf wie Futteränderungen, Hängerfahrten, Stress, zu viele oder zu wenige Elektrolyte, Überanstrengung oder sogar Magengeschwüre zu einer Kolik beitragen.Auch wenn eine Verlagerung und Drehung des Darmes auftreten kann, ist die herabgesetzte Darmmotilität typischer, welche über die Dehydratationskaskade mit Hypovolämie (das Blut wird aus dem Darm in die arbeitende Muskulatur verlagert) und Elektrolytimbalancen zu einem Darmverschluss mit Koliksymptomen und Bauchschmerzen führt. Der Schmerz wird durch die Gasproduktion im still liegenden, inaktiven Darm und durch die Größenzunahme des Darms durch Ansammlung von Flüssigkeiten hervorgerufen.Verstopfungen des Dick- oder Blinddarmes können ganz einfach aus der Dehydratation resultieren – in Folge des Wassermangels wird der Kot dann hart und trocken.

Signale und Symptome

Kolik kann sich beim Distanzpferd in einer Vielfalt von Symptomen darstellen. Manchmal sind die Hinweise vage und subtil, manchmal fühlt es sich für den Reiter an, als wäre das Pferd wie aus heiterem Himmel plötzlich hochgradig schmerzhaft und ließe sich aus dem Nichts zu Boden
fallen.
Eine Kolik beginnt lange vor dem Schmerz
Aber eine Kolik beginnt häufig lange bevor Zeichen des Schmerzes sichtbar sind. Eine Wesensveränderung, der Verlust des Laufwillens, Futter -oder Wasserverweigerung, ein Anstieg der Herzfrequenz auf der Strecke, ein träger Herzrhythmus bei Radarkontrollen oder im Vet-Check oder
wenige bis keine Darmgeräusche sind alles potenzielle Warnzeichen, dass Probleme bevorstehen. Reiter, die sehr aufmerksam auf diese Veränderungen achten, können eventuell ihre Rittstrategie und ihr Management an diese Warnzeichen anpassen, um ein Desaster zu verhindern. Eine Verringerung der Geschwindigkeit, Kühlen, eine Anpassung der Elektrolytzufuhr oder eine Verlängerung der Pausenzeit.zur besseren Futter- und Wasseraufnahme sind exzellente Stellschrauben, die manchmal den Unterschied zwischen einem Happy Ride Day und einem Resttag im Treating Vet-Zelt ausmachen.Fairerweise muss gesagt sein, dass es manchmal diese Anzeichen nicht gibt und Kolik „einfach passiert“. Aber in vielen Fällen, insbesondere seitdem wir besser darin geworden sind, Behandlungen und Unfälle nachträglich zu bewerten, gab es eine Art von „Frühwarnung“, die ignoriert wurde und eventuell der Punkt war, an welchem eine Katastrophe hätte verhindert werden können, wenn man sie früh genug bemerkt hätte. Reiter sollten stets bemüht sein, in ihr Pferd „hineinzuhören“ und ein Gefühl dafür entwickeln, wie es sich anfühlt, wenn alles in Ordnung ist und dadurch auch realisieren, wenn sich etwas „nicht richtig“ anfühlt.

Auf das Bauchgefühl hören

NIEMALS sollte man das Gefühl oder die innere Stimme ignorieren, die dem Reiter sagt, dass etwas nicht stimmt. Niemals sollte man sich allein darauf verlassen, dass die Tierärzte die subtilen Zeichen des Pferdes schon erkennen werden, denn sie sehen es immer nur für wenige Minuten, einen kurzen Augenblick. Der Reiter dagegen verbringt den ganzen Tag mit seinem Pferd.
Während das kranke Distanzpferd auf eine ernsthafte Situation und potenziell sogar lebensbedrohliche Kolik oder sogar einen Darmverschluss zusteuert, gibt es einige deutliche Anzeichen:

  • Eine Heartrate-Recovery-Zeit von 20 bis 30 Minuten
  • Pulshänger
  • Wenig bis keine Darmgeräusche, speziell bei Pferden, die nicht fressen und trinken
  • Ein benommener Gesichtsaudruck
  • Hinweise auf Dehydrierung wie zum Beispiel trockene
  • Schleimhäute oder eine schlechte Jugularvenenfüllung
  • Lethargie
  • Unwilligkeit zu traben
  • Milde, moderate bis schwere Bauchschmerzen.

Interessanterweise ist auch bekannt, dass eine Kolik gemeinsam mit anderen metabolischen Problemen auftreten kann. Zum Beispiel beim Tying-up, bei starker Überbeanspruchung oder bei Überhitzung, ist das Risiko hoch, dass sich zusätzlich eine Kolik entwickelt. Nicht selten zeigt ein Pferd, welches aufgrund eines anderen Problems infundiert wird, plötzlich Koliksymptome, während die eigentliche Behandlung voranschreitet.

Nicht zu lange warten

Augenscheinlich klar ist, dass ein Pferd, welches sich vor Schmerzen auf dem Boden wälzt, medizinische Behandlung braucht. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen, falls ein Pferd einfach nur nicht ganz fit ist. Oft warten Reiter und Besitzer ab, in der Hoffnung, dass das Pferd noch Interesse am Futter zeigt oder sich nach einer kurzen Pause besser fühlen wird. Manchmal funktioniert diese Strategie, öfter jedoch zögert man so eine notwendige Behandlung hinaus mit dem Risiko auf einen weit ernsteren Ausgang.
Die Kolikbehandlung beginnt mit einer sorgfältigen Untersuchung durch den Treating Vet. Eine Einschätzung des Schmerzzustandes, der Hydratationsstatus, die Temperatur, Darmgeräusche und der Gesamteindruck sind die Standardparameter, die erhoben werden. Immer öfter ergänzen Bluttests vor Ort, die Elektrolyte, Hydratationsstatus und Muskelfunktion überprüfen die Diagnose. Eine Nasenschlundsonde wird geschoben, um den Verdacht auf einen Ileus auszuschließen oder zu bestätigen. Diese wird häufig liegen gelassen und am Halfter fixiert, um die Verlaufskontrolle der Darmaktivität zu erleichtern.

Grundstein der Behandlung: Flüssigkeitstherapie

Der Grundstein einer jeden Behandlung des kranken, metabolisch auffälligen oder kolikenden Pferdes ist eine schnelle, intravenöse Flüssigkeitstherapie mit großen Volumina. Sobald die Infusionstherapie eingeleitet ist, wird der Tierarzt häufig Schmerzmedikamente dazugeben, um die Untersuchung und die Behandlung des Kolikpatienten zu erleichtern sowie die Schmerzen und das Unwohlsein des
Pferdes zu lindern. Werden nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAIDs) wie Flunixin gegeben, dann nur in sehr geringen Dosen, da NSAIDs bei stark dehydrierten Pferden schwerwiegende Folgen haben können. Die rektale Untersuchung, um eine potenzielle Verlagerung, Verdrehung oder Verstopfung zu diagnostizieren, wird beim dehydrierten Pferd ebenfalls nur nach sorgfältiger Abwägung durchgeführt.Häufig werden zusätzlich zu den Infusionslösungen weitere Präparate gegeben, um Elektolytimbalancen auszugleichen. Eine vorsichtige orale Flüssigkeitstherapie kann gewählt werden, wenn der Gastrointestinaltrakt motil ist und funktioniert.

Distanzpferdekoliken sind anders

Ein wichtiger Unterschied zwischen Distanzpferdkoliken und normalen Alltagskoliken ist die unglaubliche Intensität des Schmerzes beim Distanzpferd bei vergleichsweise niedriger Herzfrequenz. Beim Distanzpferd geht sie üblicherweise mit einem Darmverschluss einher, aber nicht mit einer Verlagerungen des Darmes. Im Studium schon lernt man als Tierarzt, dass schwere, therapieresistente Schmerzustände mit einer hohen Herzfrequenz und Darmverlagerungen einhergehen.
Aufgrund der Stase des Darms können die Pferde aber unter dramatischen Schmerzen leiden, welche zur Linderung wiederholte hohe Dosen an Schmerzmitteln erfordern -ohne dass ein Problem vorliegt, das eine chirurgische Intervention erfordert. Vielmehr benötigen diese Patienten Zeit und eine geduldige Behandlung, während ihr Gastrointestinaltrakt sich müht, wieder physiologisch in Gang zu kommen.Außerdem wird gelehrt, dass die meisten Koliker ein großes Volumen an Flüssigkeit benötigen (50 Liter und mehr), um eine Verbesserung des Zustandes zu erreichen. Heutzutage ist durch die Erfahrungen der Rittbehandlungen jedoch bekannt, dass die Mehrheit der Pferde sich mit einer geringen Menge von 10 bis 20 Litern schnell verbessert und erholt.Dieser Unterschied von starken, rezidivierenden Schmerzzuständen, meist verursacht durch einen Darmverschluss – im Vergleich zur normalen Gas- oder Krampfkolik in der restlichen Pferdepopulation, welche man mit einer einmaligen, geringen Dosis von Buscopan und Schmerzmitteln heilen kann dazu führen, dass ein Distanzpferd zu schnell eingeschläfert wird, anstatt ihm die Zeit zu geben, sich unter der Infusionstherapie zu erholen.
Dies ist der Punkt, an welchem wir als Gemeinschaft von Reitern, Besitzern, Veranstaltern, Tierärzten und sogar der Verein als Organisation proaktiver und fortschrittlicher werden sollten. Wir sollten entsprechende Behandlungsmöglichkeiten durch die Tierärzte anregen und auch erwarten. Eine frühzeitige intravenöse Infusionstherapie sollte Pflicht für alle metabolisch kranken Distanzpferde sein. Alle Tierärzte sollten mit den außergewöhnlichen Krankheitsbildern und deren Therapie in unserem Sport vertraut sein.
Es gibt viele Gründe, weshalb sich eine aggressive Infusionstherapie auf einem Ritt verzögert: Manchmal möchte der Reiter das Stigma der Behandlung vermeiden, manchmal auch die Kosten der Therapie, manchmal ist der Tierarzt zu zurückhaltend und manchmal scheint der Transport vom Veranstaltungsort die bessere Idee zu sein. Gerade Letzteres verzögert aber im Ernstfall die Therapie gravierend. Je mehr der Anspruch an Tierschutz in der Pferdesportwelt wächst und je mehr Erkenntnisse und Informationen wir über den lebensrettenden Effekt frühzeitiger Infusionstherapie in der Distanzreitszene gewinnen, desto weniger können wir es uns als Verein leisten, in Bezug auf Standardbehandlungen und Behandlungsmöglichkeiten auf Ritten passiv zu bleiben.Wir danken der American Endurance Ride Conference, welche uns diesen Artikel freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Kommentar: Das Vertrauen in die Ritttierärzte ist in Deutschland groß, und dass es gerechtfertigt ist, zeigen auch die geringen Ausfallzahlen wegen metabolischer Probleme. Hier ist die betreuende/beratende Tätigkeit des Tierarztes entscheidend, die verhindert, dass es zu gesundheitlichen Problemen des Distanzpferdes kommt. Deshalb brauchen wir im VDD erfahrene leitende Ritttierärzte, die die subtilen Anzeichen einer Distanzkolik zu lesen verstehen. Die allermeisten Koliken bei deutschen Distanzpferden sind Verstopfungskoliken, verursacht durch eine Imbalance zwischen festen und flüssigen Bestandteilen im Darmlumen. Eine Infusionstherapie zur rechten Zeit verhindert nicht nur einen chronischen Nierenschaden (Vortrag von Martha Misheff auf IVEC Conference 2016), sondern lindert auch die massiven Schmerzen, die u.a. durch die hochbleibende Herzfrequenz des Pferdes messbar sind.
Präsidium und Fachbeirat Veterinäre des VDD

Text: JAY MERO, DVM 2016 ÜBERSETZUNG: LENA BOLLINGER