Autor: Miriam Lewin in „Reiten und Zucht in Berlin und Brandenburg-Anhalt“ Heft 4/2023

Distanzsport liegt in der Familie

Maike und Marlen Grell im Portrait

Wenn man sich die Statistik der internationalen Starts von Distanzreitern aus der Region Berlin-Brandenburg im Jahre 2022 anschaut, fällt zweimal der Name Grell auf. Mutter Maike (52) und Tochter Marlen (18) waren beide erfolgreich auf CEI1*-Ritten unterwegs – und beide auf neunjährigen Pferden, die erst am Anfang ihrer sportlichen Karriere stehen. Grund genug für mich, hier einmal genauer nachzufragen …
Unter Distanzsportlern ist der Name Grell schon seit Jahrzehnten kein unbekannter, ist doch Marlens Vater Martin Grell FEI-Level-3-Tierarzt und heute wieder – wie auch vor zwanzig Jahren schon einmal – Teamtierarzt des deutschen Endurance-Nationalkaders. Seine Tochter aus erster Ehe, Veronika, nahm erfolgreich an Championaten teil und bestritt bereits als Juniorin ihren ersten internationalen Hundertmeiler.
Maike Grell, lernte ich (noch unter ihrem Mädchennamen Neuwardt) Ende der Neunzigerjahre beim Reitverein „Am Fließ“ in Hoppegarten kennen. Damals war sie auf ihrem ersten eigenen Pferd, der explosiven Traberstute Indira Kim, bereits recht ambitioniert auf der langen Strecke unterwegs. Mit dem Distanz-Virus hatte sie sich zuvor schon auf einem Reiterhof in Biesdorf infiziert, wo sie kurz nach der Wende als „Spätjugendliche“ mit dem Reiten begonnen hatte. Als Indira verletzungsbedingt nicht mehr sportfähig war, stellten zunächst Freunde ihre Pferde zur Verfügung, denn Maike hatte Blut geleckt, wollte nach oben kommen in diesem Sport, wo es, wie sie selbst sagt, damals recht einfach war, auch international zu starten. Anders als heute gab es keine Qualifikationssysteme, weder national noch international. Ein Unding, wie sie heute konstatiert.
Aber dann kommt es – nicht ungelegen – anders als zunächst geplant. Maike heiratet und steigt erst nach der Geburt ihrer beiden Kinder wieder in den Distanzsport ein. Ihr neuer vierbeiniger Partner ist der schneeweiße Vollblutaraber Spirit, dem, wie sich noch zeigen soll, barocke Dressur-Attitüde im Grunde mehr liegt als Marathon, der aber später zum zuverlässigen Reitlehrer ihrer 2005 geborenen Tochter Marlen werden soll.
Diese schaltet sich selbstbewusst in das Gespräch ein: Keinesfalls sei ihre reiterliche Karriere vorprogrammiert gewesen. Sie hätte relativ spät erst für sich selbst entschieden, den Weg in den Leistungssport einzuschlagen.
Mit sieben Jahren hatte ihre Mutter sie zum ersten Mal aufs Pferd gesetzt. Jüngere Kinder reiten zu lassen, so Maike Grell, sei einfach nicht sinnvoll. Ihnen fehle Balance und Körperspannung. Und Marlen ergänzt, dass sie zunächst einmal richtig Reiten lernen wollte und „all die Abzeichen machen, die gut und wichtig sind“. Ein früherer Einstieg in den Distanzsport scheiterte auch daran, dass der für das Kind leicht zu händelnde Spirit für die Disziplin nicht wirklich geeignet war. Jedoch blieb er Marlens Lehrmeister und faszinierte mit Maike im Damensattel das Publikum bei barocken Schaubildern des Hofs Repente, die damals fester Bestandteil der Hippologica und des Barockfestes im Tierpark Berlin waren.
Zu diesem Zeitpunkt hat Maike ihren Sportpartner per excellence gefunden, den selbst gezogenen Catch me if you can, einen Araber mit viel Trakehnerblut. Mit diesem bildschönen Fuchswallach scheint alles möglich. Bereits sechsjährig läuft er international und feiert seinen größten Erfolg mit einem Sieg beim CEI2* über 120 km im slowakischen Samorin. Für viel Heiterkeit sorgt auch (nach glücklichem Ausgang) eine Episode, als er sich bei einem Wettkampf von seiner Reiterin trennt und davonläuft, wobei er seinem Namen alle Ehre macht. Doch heiter endet seine Geschichte nicht. „Catch“ muss nach einem Unfall eingeschläfert werden. Wieder ist Maike an Punkt Null.
2019 kommt die Trakehner Stute Veni Vidi Vici ins Spiel, eine kompakte Braune, laufwillig und mit eigenem Kopf, wie Maike es mag. Schnell zeigt sich, dass auch Tochter Marlen ein Händchen für das Pferd hat. Endlich bietet sich für die Vierzehnjährige die Chance, richtig im Distanzsport loszulegen. Also sattelt Mutter Maike noch einmal um: auf die Vollblutaraberstute So Nice, eine PC Amal-Tochter, die ihr zunächst von der Züchterin Anita Scheele zur Verfügung gestellt wird, mittlerweile aber in ihren Besitz übergegangen ist. Anfangs starten Mutter und Tochter oft gemeinsam. Während Maike die damals 6-jährige So Nice, die 3-jährig Rennen gelaufen ist und im Jahr zuvor ein Fohlen bekommen hatte, behutsam aufbaut, tastet sich Marlen mit Veni Vedi Vici an die lange Strecke heran. Gemeinsam meistern sie die Novice-Qualifikation und krönen ihre Laufbahn mit einem CEI1* im Juni 2021 in Buch bei Ulm. Doch dann läuft die Trakehner Stute nicht mehr rund. Ein Überbein macht ihr bei größerer Belastung zu schaffen. Marlen beweist reiterliches Feingefühl genug, ihr Pferd zweimal zurückzuziehen, ehe es disqualifiziert wird. Doch damit ist der Traum von der Teilnahme an einem Jugendchampionat geplatzt. Mutter und Tochter wissen beide: ihnen rennt die Zeit davon. Jetzt noch einmal ein Pferd für den Jugendbereich aufzubauen, ist nicht zu schaffen. Damit steht die Entscheidung fest, für Marlen ein Pferd mit CEI-Qualifikation zu suchen. In Frankreich wird man fündig. Der von Claude Places im Gestüt Rio-Endurance gezogene Vollblutaraber Djebel Rio, ein Pyrus du Croate-Sohn aus einer Cherifien-Mutter, der zudem noch Maikes Catch me if you can zum Verwechseln ähnlichsieht, erfüllt alle Kriterien. Marlen und der elegante Fuchs finden schnell zusammen und bestreiten 2022 ihre ersten beiden CEIYJ1*-Ritte. Marlen, die von sich selbst sagt, dass sie jetzt „sicher im Sport angekommen“ sei und extrem viel Spaß am Distanzreiten hat, weiß, dass sie mit Djebel ein tolles Pferd mit großem Potenzial unterm Sattel hat. Ihre Chancen, sich für die Jugend-Weltmeisterschaft im Herbst dieses Jahres in Frankreich zu qualifizieren, stehen gut. Zwei CEIYJ2* über 120 km braucht das Paar noch, um am 2. September im französischen Castelsagrat antreten zu dürfen. Bei alldem verliert Marlen andere persönliche Ziele nicht aus den Augen. Es ist ihr wichtig, Distanzsport und Schule unter einen Hut zu bekommen. Sie besucht die zwölfte Klasse und möchte nach dreizehn Schuljahren ein gutes Abitur ablegen, um danach Englisch und Kunst auf Lehramt zu studieren.
Gemeinsam werden Mutter und Tochter in Zukunft nur noch im Training reiten. „So Nice kann schwierig sein und hat manchmal ihre Wutanfälle“, sagt Maike, „da habe ich die Gedanken nicht beim Kind!“ Deshalb werde sie Marlen bei den bevorstehenden Wettkämpfen trossen – wozu übrigens auch Marlens ein Jahr älterer Bruder Matthias Talent und Neigung zeigt. Und natürlich ist Vater Martin als Tierarzt auch mit dabei. Familiensport eben.

Foto von Tim Kärger


CEI Samorin März 2022, Foto von Lisa Schmidt


CEI Buch Juni 2022, Foto von Rose Ruml