19 Stunden oder Gänsehaut um Mitternacht
Im Dunkeln mit dem Sulky über den letzten Hügel traben, nach fast 19 Stunden und 164 Kilometern,
kurz vor Mitternacht: Der Zieleinlauf der Stuck-Distanz wird sichtbar, von Fackeln erhellt, das Ziel
selbst ist am Ende der Wiese, es wird gejubelt und geklatscht – was für ein Gänsehautmoment.
Rückblende: Vor fast 10 Jahren ist in einem familiären Zuchtbetrieb von Deutschen Sportpferden in
Sachsen-Anhalt die 5jährige Fuchs-Stute Adena zu verkaufen, der Züchter gibt sie günstig ab, zu klein
(1,63 m…), der Kopf zu unedel für die potenten Käufer. Die Entscheidung fällt aus dem Bauch heraus.
Mit dem ersten Hundertmeiler bin ich an einem Ziel nach acht Jahren Aufbau, auch mit Rückschlägen
in Form eines chronisch problematischen Iliosakralgelenkes, die Entscheidung letztes Jahr, lange
Distanzritte nicht mehr zu reiten sondern zu fahren, war offensichtlich richtig.
Die konkrete Vorbereitung für den Ritt erfolgt bereits im Januar mit der Festlegung der
Saisonhöhepunkte, ich entscheide mich für die Distanz in Stuck bei Eldena, langes (Himmelfahrts-
)Wochenende, nur eine Stunde Anfahrt, flach wie zu Hause im Wendland, schöne Strecken, bestens
markiert. Ein Trosser wird benötigt, mein Freundin Silvia sagt zu. Mein gewohntes Zugfahrzeug steht
nicht zur Verfügung, eine weitere Freundin sagt den Autotausch zu, bei der Arbeit werden
Verpflichtungen geschoben, Pferdedienste getauscht – damit sind die ersten Herausforderungen
gemeistert. Aber die Zweifel bleiben: Reicht das Training in diesem Frühjahr, viel Sulkyfahren konnte
man wegen der umgestürzten Bäume nicht, auf dem Distanzritt Ostern in Arendsee ausgeschieden
wegen Lahmheit, ist dieses Pferd aufgrund des Rückens vielleicht gar nicht für solche
Höchstleistungen bestimmt? Flexibel lässt die Ausschreibung das Beenden in der Wertung in jeder
Pause ab 80 km zu, ich nehme mir dazu höchste Disziplin für ein moderates Tempo zwischen T5,5
und T6,0 vor, besonders für die 1. Runde, Adena muss daran ständig erinnert werden, fügt sich aber
ohne Widerstand. Und so traben wir in den frühen Morgen, 37 km mit Trot-By als
Verfassungskontrolle, schon kurz nach 8 Uhr sind wir wieder im Camp und haben die Tagesstrecke
eines üblichen Wanderritts bereits hinter uns. Die Pausenroutine spielt sich schnell ein, Einzeit holen,
Sulky und Geschirr abnehmen, Puls messen, Vortraben, Pause machen, was braucht das Pferd,
Kleinigkeiten richten, 10 min. vor Abfahrt das ganze retour, Aufschirren, Sulky anbasteln, Checkkarte
holen und losgetrabt. Insgesamt wird es sechs solche Pausen auf den 164 km Strecke geben. In einer
gibt es frisch gebrühten Kaffee, manchmal Schnittchen, ein gekochtes Ei, Obstschnitze, Popcorn –
Wunschkost für die Fahrerin, herrlicher Luxus für die Trossunverwöhnte. Es folgt die große Runde,
90 km mit drei Pausen, z. T. mit netter Ponybegleitung, alles läuft ruhig und bestens organisiert ab.
Treulich leuchtet Silvia’s gelbe Regenjacke an den Trosspunkten und verspricht Wasser für’s Pferd,
dass zu meiner Beruhigung gern genommen wird.
Abends Verfassungskontrolle im Camp, der Tierarzt gibt sein ok für die letzten 37 km und langsam
wird es dunkel. Adena trabt noch immer willig und gleichmäßig, sie weicht im Dunkeln Ästen aus,
sieht offensichtlich mehr als ich. Und dann, mit dem Sulky über den letzten Hügel traben kurz vor
Mitternacht, die Zielwiese wird von Fackeln erhellt…
Nach bestandener Nachuntersuchung gibt es eine zünftige Hundertmeilertaufe und roten Sekt für die
Fahrerin (w, 57 Jahre), viele Knutscher für’s Pferd und die große Freude, dieses Abenteuer in der
Gemeinschaft und mit der Unterstützung von vielen erreicht zu haben! Danke an alle, die dazu
beigetragen haben, besonders auch den Veranstaltern, Tierärzten und Helfern, die die Mühen der
ganz langen Strecke auf sich nehmen.

Bericht von Carolin Schneider